Niederösterreich: Hundertwasser, Mädchen und der rostrote Fluss

 

13.07.2012 | 18:32 |  von Elfie Spitzer (Die Presse)


Exakt 153 Kilometer lang mäandert der Kamp durchs Waldviertel. An seinem Oberlauf finden sich wunderbare Plätzchen, die nur zu Fuß zu erreichen sind – genau deswegen sind sie ja so schön.

Arbesbach. „Großartig, ein Strudelwurm!!!“ Aufgeregt winkt mich Wanderführer Wolfgang zu sich. „Schauen Sie, den hab ich unter dem Stein da gefunden!“ Aha, das ist also der Indikator für sauberes Wasser. Rasende Begeisterung will sich allerdings keine einstellen, das Würmchen ist gar ein wenig klein geraten und nur unter der Lupe erkennbar, die Wolfgang Frühwirt immer im Gepäck hat.

Auch sein nächster Fund, die Larve einer Eintagsfliege, entlockt mir keinen Jubelschrei. Dafür das Drumherum: Ich stehe im dichten Nadelwald am Ufer eines munteren Bachs, der zwischen riesigen, moosbewachsenen Granitbuckeln abwärts gluckst. Der Himmel zeigt sich wolkenverhangen, bis zum Boden dringt nur wenig Licht durch und das Wasser schimmert geheimnisvoll rostfarben. Die ganze Szenerie wirkt magisch, ich schiele zu den Farnen am Bachrand, in der Hoffnung auf tanzende Feen.

Momentan ist der Wasserstand niedrig und so entblößen sich schmale Uferstreifen als Schotterbänke. „Wenn es regnet, ist hier binnen Stunden alles überflutet“, sagt Frühwirt, nachdem er seine Bachexpeditionsutensilien wieder verräumt hat. „Dann donnert es so richtig über dem Höllfall.“ Der Höllfall bei Arbesbach zählt zu den schönsten Abschnitten am Kamp, jenes Flusses, der in unzähligen Schlingen und Schlenkerern quer durchs Waldviertel fließt und dabei weitgehend naturbelassen seinen Lauf findet.

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Blauflügelige Prachtlibelle


„Wir stehen hier nahe an seinem Ursprung, einem Moor im Weinsberger Wald. Von dort nimmt er seine Farbstoffe mit, die ihm seine charakteristisch gelblich-rötliche Farbe geben. Außerdem ist der ph-Wert des Wassers leicht sauer, wodurch sich Eisenbestandteile aus dem Boden lösen, was den Rotton intensiviert.“

Eine blauflügelige Prachtlibelle reißt mich aus seinem Vortrag. Endlich einmal ein ansehnliches Exemplar der Kamp'schen Fauna. „Sagen Sie, Wolfgang, haben Sie auch schon einmal einen Fischotter gesehen?“ Frühwirt verdreht die Augen: „Ja, leider – im Fischteich meines Bruders. Der liegt relativ nah am Fluss und diese Biester bedienen sich ungeniert daraus.“ Hm, war wohl eine sehr städtisch-blauäugig-naive Frage. Dass ich in der Stadt lebe, ist freilich der Grund, warum ich hier bin. „Du mit deinem Bergtick“, hatte mich eine Wiener Freundin mit Waldviertler Migrationshintergrund auf die richtige Spur gebracht. „Unberührte Natur gibt es nicht nur in den Alpen. Fahr an den Kamp, da hast du einsame Wanderwege entlang völlig unverbauter Abschnitte, aber auch riesige Seen mit fjordartigen Buchten. Da kann man herrlich baden und glaub mir: Auch bei uns wird es im Sommer richtig heiß.“ Diese Seenplatte liegt schön in der Mitte des Waldviertels, auf den großen Ottensteiner See folgen die kleineren Seen Dobra und Thurnberg. Sie wurden ab 1949 aufgestaut, als die EVN am Kamp drei Wasserkraftwerke errichtete.

Das Thermometer zeigt tatsächlich mehr als dreißig Grad an. Optimal, um am schmalen Strand des Ottensteiner Sees bei der Ruine Lichtenfels den Tag zu verbummeln. Zwischen Dösen, Lesen und Schwimmen schweift der Blick, ich habe den Eindruck, in Skandinavien zu sein: Aus dem tiefgründigen, fischreichen Wasser ragen graugescheckte Granitblöcke. Die Nadelwälder an den Rändern sind versetzt mit hellen Birken, der Waldboden ist von Flechten überzogen und dicht bewachsen mit Heidelbeersträuchern. Der Duft von sonnenwarmen Kiefernnadeln vermischt sich mit dem herben Geruch, den ein Wald in der Pilzsaison ausströmt. Das Wasser ist erstaunlich warm. Eine Tagesbekanntschaft lächelt: „Sie haben die richtige Wahl getroffen, der Ottensteiner See ist der oberste und damit der wärmste. Mit jedem See kühlt das Wasser nämlich um rund drei Grad ab, weil in den Staustufen immer nur die untersten Schichten abgelassen werden.“

Uralte Kate


Wunderbar erfrischt bin ich am späten Nachmittag reif für einen Kulturtrip. „Hier haben Sie die Drehbank eines Stockdrechslers. Spazierstöcke herstellen war einmal ein eigener Beruf. Das da drüben ist eine sogenannte Putzmühle. Sie diente dazu, Spreu von Weizen zu trennen. Und das dort ist ein Wäschestampfer mit Rumpel, der Vorläufer unserer Waschmaschine.“ Hermann Neulinger hat sich in Fahrt geredet und ist kaum zu bremsen. Der Obmann des Museumsvereins Roiten ist stolz auf dieses, sein und der Dorfgemeinschaft, Baby. Die Fassade des kleinen Dorfmuseums, das altem Handwerk und bäuerlicher Lebensart gewidmet ist, wurde von keinem Geringeren als Friedensreich Hundertwasser gestaltet. „Ja, der Hundertwasser war ein großer Unterstützer unseres Museums. Er hat über dreißig Jahre lang immer wieder bei uns gelebt und gearbeitet und sich sehr für Lokales interessiert.“ Neulinger führt zu einem Nebengebäude, in dem das Werk Hundertwassers in Bezug zu Roiten penibel dokumentiert ist. Nach weit über einer Stunde kann ich mich loseisen von dem enthusiastischen Museumsführer, der mir noch den Weg zu Hundertwassers Refugium zeigt: die alte Hahnsäge direkt an einem der urtümlichsten Flussabschnitte des Kamp. Mangels Straße schnüre ich die Wanderschuhe und spaziere ganz nah am Ufer über den federnd-weichen Waldboden, begleitet vom Rauschen des Flusses. Es dauert nicht lange, und ich stehe vor einer uralten Kate. Auf dem Dach wächst Gras, die Wände sind fröhlich bunt bemalt. Doch Türen und Fenster hängen schief in ihren Rahmen.

„Hundertwasser hat hier immer sehr bescheiden gelebt. Das Grasdach hat er selbst angelegt, die Malereien wurden erst nach seinem Tod, quasi in memoriam, aufgetragen.“ Diese Worte Neulingers klingen mir beim Anblick der Hütte wieder im Ohr. Neugierig versuche ich ins Innere zu lugen, doch die borstige Matratze, die im Zusammenhang mit Besuchen hübscher Mädchen zur Legendenbildung rund um den eigenwilligen Maler beigetragen hat, lässt sich nicht erspähen. Möglicherweise, ergehe ich mich in Vermutungen, hat aber auch der weiche Moosboden rings um die Hütte so seine Rolle gespielt?